Das Fach Latein in der Presse:

"Totgesagte leben länder" (FAZ.NET, 29.06.2008)
"Latein ist wieder 'in'" (taz.de, 10.12.2007)
"Caesar ante portas" (FRANKFURTER RUNDSCHAU, 10. 09. 2007)

"Latein kommt bei jungen Leuten wieder an" (DIE RHEINPFALZ, 19. 04. 2007)
"Europas Muttersprachen" (DIE WELT, 07. 04. 2006)
"Immer mehr Latein" (FAZ, 14. 12. 2005)

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Totgesagte leben länger

FAZ.NET, 29.06.2008

von  S. Spangenberg

Peter Lobe hält keinen trockenen Vortrag, sondern ein Plädoyer. Zur Unterstützung hat er für die Siebtklässler des Bayreuther Gymnasiums Christian-Ernestinum und ihre Eltern eine Powerpoint-Präsentation erstellt. „Altgriechisch ist bunt und modern“, lautet die Botschaft. „Das macht nicht jeder, und deshalb sollte man es sich gönnen“, das sind die Schlussworte des Leiters der Fachschaft Alte Sprachen. Ähnlich flammende Appelle richten Lobes Kollegen derzeit an Gymnasiasten in ganz Deutschland. Es gelte die Gelegenheit beim Schopfe zu packen. „Kairos“, so heißt ein weitverbreitetes Altgriechisch-Lehrbuch; in der griechischen Mythologie ist Kairos der Gott der günstigen Gelegenheit. Immer mehr Schüler folgen der Argumentation. Die alten Sprachen liegen plötzlich wieder im Trend – und ihre Kenntnis macht in manchen Bewerbungsrunden den Unterschied.

Die Renaissance belegen Daten des Statistischen Bundesamtes: Lernte im Schuljahr 1999/2000 nur etwa jeder vierte Gymnasiast in Deutschland Latein, so ist es heute fast jeder dritte. Auch für Griechisch sind die Schülerzahlen angestiegen. In absoluten Zahlen liegt Bayern mit derzeit rund 4350 Schülern vorn, anteilsmäßig sind es Berlin (2,3 Prozent) und Hamburg (1,6 Prozent). Von einem Boom mag Markus Gruber angesichts dieser Zahlen zwar nicht sprechen. „Doch seit etwa acht Jahren steigt die Akzeptanz für das Fach Altgriechisch stetig, nachdem es zuvor über Jahrzehnte eine Talfahrt gegeben hatte“, sagt der Altphilologe von der Universität Regensburg.

„Griechen“ gelten als Streber

Vor allem die „Griechen“ werden gemeinhin oft für Überflieger gehalten oder aber für Streber, von ihren Eltern mit Elitedenken geimpft. Die Lehrer nennen andere Eigenschaften, wenn es um die Eignung für alte Sprachen geht. Gefragt seien Neugier, Ausdauer und Begeisterung sowie das Bedürfnis zur Reflexion über Fragen, die das Verhältnis von Freiheit und Schicksal, von Individualität und Verantwortung, Verstand und Leidenschaft betreffen. Doch die Inhalte sind es nicht allein. „Griechisch und Latein schulen durch ihre hohe Komplexität das differenzierte Denken und die Urteilskraft“, betont Gruber.

Kalkül vermutet er nicht hinter dem Aufschwung für Griechisch und Latein, im Gegenteil. „Diese Sprachen machen in gewisser Weise frei und unabhängig“, sagt Gruber. Er meint es auch als eine Absage an den Druck der Ökonomie, unter dem heute schon viele Schulentscheidungen stehen. Dabei liefert auch der Arbeitsmarkt gute Gründe für die Wahl der alten Sprachen. „Latein intensiviert das Beharrungsvermögen und die Konzentration“, sagt der Kölner Personalberater Jörg E. Staufenbiel. Damit könnten selbst High Potentials punkten, findet der Inhaber der Staufenbiel Personalberatung BDU. „Dadurch verbessern sich Fertigkeiten wie das analytische Denkvermögen.“ Und das sei für sämtliche Studiengänge und auch im späteren Berufsleben von großem Vorteil.

Latinum als Beleg für Allgemeinbildung

Zurückhaltender beurteilt Ursula Maier-Eichhorn, die Leiterin des Kulturamts Unterhaching, die Aussichten der Altsprachler. Momentan beeindrucke ihr Idealismus wohl nur in Nischen wie dem kulturellen Sektor, vermutet die promovierte Latinistin. Sie erwartet jedoch, dass die Wertschätzung humanistischer Bildung zunehmen wird. „Das Bewusstsein, dass wir nicht im luftleeren Raum schweben, wird stärker. Außerdem sind Altphilologen für vieles einsetzbar.“

Auf diese Rundumqualifikation setzt auch Birgit Nicolas, die Schulleiterin des Berliner Ernst-Abbe-Gymnasiums. „Das Latinum ist ein Beleg guter Allgemeinbildung, mit dem sich unsere Schüler von Mitbewerbern absetzen können.“ An dem Gymnasium im berüchtigten Bezirk Neukölln wählen 60 Prozent der Schüler Latein. Nicolas führt diese sensationelle Quote auf das Engagement der Fachschaft und die Qualität des Unterrichts zurück. Die Sprache Cäsars und Ciceros wird am Ernst-Abbe-Gymnasium auch deshalb bewusst beworben, weil sie Schülern mit Migrationshintergrund helfen soll – deren Anteil liegt hier bei 83 Prozent.

Sprachhilfe für türkischstämmige Bürger

Die Hinwendung zur Antike soll das daraus resultierende Konfliktpotential entschärfen. Einerseits geht es dabei um die emotionale Komponente. Altphilologen wie Markus Gruber schreiben den alten Sprachen an Schulen mit Kindern aus vielen verschiedenen Nationen das Potential zu, wie ein einigendes Band zu wirken. Das Gefühl der Heimatlosigkeit, das manche ausländische Schüler plage, werde durch den Lateinunterricht zumindest gemildert, glaubt auch Birgit Nicolas. „Wir fördern aktiv die Vorstellung vom großen Dach Europa, unter das für uns auch die Türkei gehört.“ Gerade die Schüler aus türkischen Familien könnte die Spurensuche nicht nur ins alte Rom, sondern vor allem in die griechische Geschichte führen: Die Westküste der heutigen Türkei war einst das griechisch besiedelte Ionien.

Andererseits spielt auch die Sprache selbst eine wichtige Rolle. „Das Durchdringen des Lateinischen erleichtert den Schülern auch das Erlernen von Deutsch“, berichtet Nicolas. Türken mit Lateinkenntnissen hätten viel weniger Probleme mit der Benutzung von Präpositionen und bestimmten Artikeln. „Manche verwenden den Genitiv nur, weil sie beim Übersetzen dazu gezwungen sind.“ Diese bislang nur subjektiv wahrgenommene Verbesserung der Deutschkenntnisse durch den Lateinunterricht soll nun in Kooperation mit der Berliner Humboldt-Universität wissenschaftlich erhärtet werden.

An den Hochschulen genießen die alten Sprachen ohnehin einen Sonderstatus. Viele Lehramtskandidaten brauchen das kleine oder große Latinum; auch wer einen Magisterabschluss in Anglistik, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Orientalistik und anderen Fächern anpeilt, muss sich auf ähnliche Zulassungsvorschriften gefasst machen. Zusätzlich das Graecum benötigen etwa angehende Theologen, Archäologen oder Althistoriker. Doch den aktuellen Zulauf zu Latein und Griechisch erklären diese Anforderungen nicht, zumal sie in den letzten Jahren eher gelockert wurden. Auch der Hinweis darauf, dass sich mit den alten auch viele moderne Sprachen schneller lernen lassen, kann den jetzt zu beobachtenden Ansturm auf die Kurse kaum begründen. Am Bayreuther Gymnasium Christian-Ernestinum jedenfalls scheinen Schüler und Eltern geradezu massenhaft von der Leidenschaft fürs Altertum angesteckt worden zu sein. 31 von 93 Siebtklässlern haben dort ihr Kreuzchen bei „humanistisch“ gemacht und wollen vom nächsten Schuljahr an Altgriechisch lernen. Und schon seit Jahren steigt die Zahl der Fünftklässler, die am GCE mit seinem klassisch-humanistischen Profil angemeldet werden.

„Wunderschön, farbenfroh und bilderreich“

Woher also kommt diese Entwicklung? Warum faszinieren die alten Sprachen offenbar wieder mehr und mehr Eltern und Schüler? Vielleicht ist die Hinwendung zu ihnen tatsächlich Ausdruck der Sehnsucht nach Stabilität in einer sich immer rascher wandelnden Welt, wie manche Philosophen vermuten. Wer tote Sprachen beherrsche, die sich ja gezwungenermaßen seit Jahrtausenden nicht verändert haben, der atme ein Stück Ewigkeit, heißt es. Für die Schüler selbst dürfte zunächst das Interesse an der Mythologie, im Fall des Altgriechischen auch am neuen Alphabet als „Geheimschrift“ im Vordergrund stehen, vielleicht auch der Wunsch, sich von anderen abzuheben.

Nach mehreren Jahren Unterricht fallen die Kommentare schon viel differenzierter aus. Eine Umfrage unter mehr als 300 hessischen Griechischschülerinnen und -schülern förderte Motivationen zutage, die viele den Jugendlichen von heute gar nicht mehr zutrauen würden. Altgriechisch zu lernen sei die beste Möglichkeit, über Sein, Geschichte und Verhalten des Menschen zu philosophieren, gab ein Schüler beispielsweise zu Protokoll. Ein anderer fand die Sprache „wunderschön, bilderreich und farbenfroh“.

Dagegen trat etwa die Hoffnung darauf, von der Beschäftigung mit Plato und Thukydides später im Studium oder im Beruf profitieren zu können, deutlich zurück. „Immer nur nach dem Nützlichen zu fragen ziemt sich gar nicht für großzügige und freie Menschen“, schrieb Aristoteles in seiner „Politik“. Diese Lektion haben die befragten Schüler jedenfalls gelernt.

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Latein ist wieder "in"

taz.de, 10.12.2007

von Anne Haeming

Lange galt diese Sprache als Krone bildungsbürgerlichen Herrschafts­wissens. Damit ist es nun vorbei. Immer mehr Eltern schicken ihre Kinder in den Lateinunterricht - aus guten Gründen.

Wilfried Stroh hatte sich extra hingesetzt und Angelina Jolie eine E-Mail geschrieben. Der Münchner Altphilologe hatte zufällig gesehen, dass auf dem Bauch der Schauspielerin ein lateinischer Satz tätowiert ist. In verschnörkelten Lettern liest man dort “Quod me nutrit me destruit”, zu Deutsch: Was mich nährt, zerstört mich. Unsinnig sei das, fand Stroh. Er wollte wissen, was sich die Hollywood-Schönheit bei dem Satz dachte. Sie hat ihm nicht geantwortet.

Angelina Jolies Tattoo ist nur ein Indiz: Die antike Sprache ist auf einmal schick. Das zeigen sich ständig vermehrende lateinische Phrasensammlungen und, ganz aktuell, zwei Sachbücher: Wilfried Strohs flammendes Plädoyer “Latein ist tot, es lebe Latein!”, das sich seit über einem Vierteljahr auf der Spiegel-Bestseller-Liste hält; das andere, “Latin Lover” vom Briten Harry Mount, ist gerade auf Deutsch erschienen. Sogar Altphilologe Stroh registriert einigermaßen verblüfft “einen Boom”.

Den belegen auch die Statistiken: Seit dem Schuljahr 2000/2001 sind die Zahlen der Lateinschüler in Deutschland um 30 Prozent gestiegen, so die aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts - trotz allgemein sinkender Schülerzahlen. Und auch Papst Benedikt XVI. hat die Gunst der Stunde erkannt, um endlich seinen lang gehegten Plan in die Tat umzusetzen: Die lateinische Messe wieder zuzulassen - was letztlich natürlich mehr kirchenpolitische als sprachästhetische Gründe hat.

Latein taucht, “tot” und doch immer wieder verjüngt, in denkbar unerwarteten Zusammenhängen auf, zum Beispiel auf den Unterarmen von Fußballer David Beckham: “Ut amem et foveam” steht da, und “Perfectio in spiritu”.

Die Sprache der alten Römer ist in den gesellschaftlichen Niederungen angekommen. Wie zuvor die Naturwissenschaft wird nun auch dieses eigentlich bildungsbürgerliche Basiswissen populärwissenschaftlich aufbereitet - dabei bleibt es die Sprache, in der Menschen von Karl Marx über Franz Josef Strauß bis zum bayerischen SPD-Mann Ludwig “roter Pullunder” Stiegler eloquent schreiben und parlieren. Weiter entfernt von Angelina Jolie und David Beckham geht es kaum.

Doch letztlich sind es eben jene beiden Strömungen, die hinter dem aktuellen Lateinrevival stecken. Die Bücher von Wilfried Stroh und Harry Mount spiegeln diese beiden Extreme auf der Skala der momentanen Lateinbegeisterung. Auf der einen Seite ein 67-jähriger emeritierter Professor, der als der fließende Lateinsprecher der Szene gilt und dafür plädiert, jene totgesagte Sprache wie eine moderne Fremdsprache zu unterrichten. Ein Exzentriker mit Leidenschaft für “den Zauber des Lateinischen”, wie er es nennt, der sich auf seiner Uni-Homepage mit Toga, Lorbeerkranz und Harfe präsentiert.

Auf der anderen Seite gefällige Texte über Etymologie und dorische Säulen, ein paar Deklinationskästen sowie Beispielsätze wie “Humphreus Bogartus Laurenam Bacallam labellis osculus est” - Humphrey Bogart küsste Bacall auf die Lippen. Der Leser solle sich nicht “wie ein Elfjähriger” fühlen müssen.

Überdies übernimmt Latein, wie zuvor der Buddhismus, die Funktion einer hippen Ersatzreligion. Es ist kein Zufall, dass Jolie einmal in einem Interview sagte, Tattoos seien für sie wie Gebete. Neben dem Zerstörerspruch trägt sie auch Sanskritverse auf ihrem Körper spazieren.

Die Antike - ein diffuser, ferner Mythos. So nimmt es auch kaum Wunder, dass Blockbuster wie Mel Gibsons “Passion Christi” zum selben Genre zählen wie Streifen wie etwa der Oliver-Stone- Film “Alexander”, mit Angelina Jolie als Mutter des Helden, Wolfgang Petersens Sandalenfilm “Troja” oder gerne auch “Gladiator”. Die Spartaner-Comic-Verfilmung “300″ gilt gar als eine der erfolgreichsten US-Produktionen 2007. Und auch bei Streifen, die mit jenen offensichtlichen Historienschinken wenig zu tun haben, stehen antike Klassiker hoch im Kurs: “O Brother, Where Art Thou” der Coen-Brüder oder “Cold Mountain” sind so etwas wie Coverversionen von Homers Odyssee. Fest steht, dass Latein den Bildungsdünkel abgelegt hat, von dem es umgeben war: “Es gibt keinen Hochmut mehr”, erklärt Stefan Kipf, Bundesvorsitzender des deutschen Altphilologenverbandes. Gott sei Dank, findet Wilfried Stroh, “das war schädlich”.

Nachhaltigkeit, das haben nun auch die Trendforscher entdeckt, ist das Bedürfnis unseres Zeitalters. Darunter mag man zwar Umweltschutz und gesunde Ernährung verstehen. Aber im Grunde geht es um Qualität. Um Beständigkeit statt Billigware: “Latein strahlt Dignität aus, Seriosität, Qualität”, sagt Kipf und verweist erst einmal auf Automodellnamen wie Vectra, Astra, Modus. Gerade in Zeiten von Bildungsabgesängen passt also nichts besser als Latein, die Sprache, die schon immer synonym für qualitativ hochwertige Erziehung stand. Schulreformer aller Zeiten predigten das, erklärt Stroh: “Bei Verlust der altsprachlichen Bildung könnte sich, meint Luther, das vergangene finstere Zeitalter erneuern.”

Die Pisa-Studie, die erstmals just im Jahr 2000 die deutsche Bildung auf die hinteren Ränge verwies, kam da für die aussterbenden Unterrichtszweige gerade zur rechten Zeit. Schließlich sind Eltern nun noch bedachter darauf, ihren Kindern eine ordentliche Bildungsgrundlage zu verpassen. Die Harry-Potter-Bände auf Latein sind bei Amazon sogar höher gelistet als das Reclamheft mit Ovids Metamorphosen. Der Run auf Lateinschulen verwundert in diesem Zusammenhang kaum noch. Wenn es vernünftig ist, “lebendige” Sprachen wie Italienisch, Spanisch, Englisch oder Französisch zu lernen, dann wird die “tote” Sprache erst recht zum Muss: Latein und seine Grammatik sind die Grundlage und Mutter weitgehend aller europäischen Sprachen.

Aus der Defensive heraus haben Leute wie der Verbandschef Stefan Kipf - Pädagoge an der Berliner Humboldt-Universität - dem Latein den Schrecken genommen. Ausflüge in die antike Kulinarik, Odyssee-Rallyes oder Tempelbasteln gehören dazu. Und der erste Satz, den Kinder lernen, ist nicht mehr “Romani bellum amabant”, die Römer liebten den Krieg.

Es mag ein Zufall sein, dass der ansteigende Zuspruch fast mit dem Beginn des “war on terror” zusammenfällt. Die Rede vom “alten Europa” bedeutet aber eben auch immer einen Verweis auf beständige Werte und die Wurzeln des Humanismus. “Latein stand immer für mehr als nur die Sprache”, sagt Stefan Kipf. “Man sucht nach Antworten aus der Antike für die Gegenwart: Latein gibt Halt.”

Für ihn sind es vor allem lebensweltliche Konzepte, die dank Latein von gesellschaftlichem Nutzen sein können. Wo sonst, fragt Kipf, könne man so viel über Freundschaft und Liebe lernen. Und über Politik, denn es ist natürlich auch die Sprache eines Imperiums, das irgendwann kollabierte, weil es sich infrastrukturell und vor allem militärisch überdehnt hatte. “Imperial overstretch” nennen das Politologen, es klingt sehr aktuell.

Das Verblüffende: Im europäischen Vergleich ist Deutschland ein Sonderfall. Die Bundesrepublik habe “eine absolute Spitzenstellung” in Sachen Latein, bestätigt Stefan Kipf. Nirgends sonst gehört Latein so selbstverständlich zur Schulbildung, in Großbritannien lernt man die Sprache Cäsars nur auf Privatschulen, in den USA kommt man nur an der Universität damit in Kontakt. “Ein Phänomen”, findet auch Wilfried Stroh. Und eines, das mit ein wenig Glück dazu führen könnte, dass die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund besser gelingt: “In manchen Berliner Schulklassen ist die Antike das einzige Element, das Polen, Letten, Deutsche, Türken verbindet”, sagt Kipf. Gerade junge Deutschtürken hätten oft einen Aha-Effekt, so seine Erfahrung: Schließlich war auch die heutige Türkei einst Teil des Imperium Romanum. O tempora, o mores!

Dass sich die Begeisterung der Angelina Jolie für das Lateinische und die Antike im Allgemeinen doch in Grenzen hält, weiß Altphilologe Wilfried Stroh auch ohne eine Antwort aus Hollywood. Die E-Mail, die er an Jolie geschickt hat, war auf Latein.

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Caesar ante portas

Latein ist wieder im Kommen – Stefan Kipf, der Vorsitzende der Deutschen Altphilologen, erklärt warum

FRANKFURTER RUNDSCHAU, 10. 09. 2007

Von Wolfgang Schmidt

Herr Professor Kipf, die Zahl der Lateinschüler in Deutschland ist laut Statistischem Bundesamt um über 30 Prozent gestiegen. Haben die Daten Sie sehr überrascht?

Sie haben mich sehr erfreut. Ich war positiv überrascht, dass der Trend der vergangenen  Jahre sich weiter verfestigt hat – und das bei sinkenden Schülerzahlen.

Wie erklären Sie sich denn das gestiegene Interesse am Lateinunterricht?

Der Latein-Unterricht hat sich in den letzten dreißig Jahren sehr stark gewandelt. Früher war Latein ja – neben Mathematik – das Auslesefach an Gymnasien, und das wurde auch konsequent umgesetzt. Latein war sozusagen der Prüfstein, ob jemand an ein Gymnasium gehörte oder nicht.

Waren die Lerninhalte seinerzeit nicht auch sehr rückwärtsgewandt?

Allerdings. Der Lesestoff war sehr patriarchalisch und militaristisch, zumindest einseitig militärisch. Es gibt ja den schönen Spruch eines Kollegen aus den 70-er Jahren, wonach der Lateinunterricht damals im Grunde aus Grammatik und Krieg bestanden habe.

Heute finden die Lateinschüler in ihren Lehrbüchern auch Geschichten über ganz normale Menschen statt über antike Schlachtenlenker.

Auch das hat sich in der Tat stark geändert. Heute gehört zum Standard eine römische Familie, deren Erlebnisse sich durchs ganze Buch ziehen – zum Beispiel ein Besuch von Kindern im Circus Maximus, wo Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe stattfanden. Der Einstieg ins Buch erfolgt fast ausschließlich über römische Alltagssituationen.

Was sonst hat den Latein-Boom mit verursacht?

Ganz klar die Veränderung in der Abfolge der Fremdsprachen an Schulen. Die Einführung des früh beginnenden Englisch- und Französisch-Unterrichts an Grundschulen hat sich sehr positiv auf die Latein-Nachfrage ausgewirkt. Früher standen Schüler häufig beim Eintritt ins Gymnasium vor der unseligen Alternative „Latein oder Englisch". Gott sei Dank kann man heute beides machen: Man fängt in der Grundschule in Klasse 1 oder 3 mit Englisch oder Französisch an, also einer modernen Sprache, in der man sich verständigen kann, und wählt dann ab Klasse 5 oder 7 eine so genannte Reflexionssprache wie Latein oder später in der 8. Klasse auch Griechisch dazu.

Englisch und Französisch enthalten etliche lateinische Vokabeln. Wäre da nicht eine Zusammenarbeit der Sprachfächer wünschenswert?

Ja, und deshalb gibt es längst auch Bestrebungen, die alten und neuen Sprachen miteinander zu verzahnen, auf einander abzustimmen und zu schauen, wie sich gerade Englisch und Latein gegenseitig befruchten können – etwa beim Erlernen des Vokabulars. Was das anlangt, arbeite ich gerade mit der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt an einem gemeinsamen Projekt.

Inwiefern profitiert man außerdem vom Latein-Unterricht?

Zumindest wenn man Latein etwas intensiver betreibt, bekommt man ein gutes Gefühl für das Funktionieren von Sprachen, also eine Art sprachlicher Allgemeinbildung. Hinzu kommt eine gute kulturelle und historische Wissensgrundlage, zumindest was Europa anlangt. Denn die Grundlagen der europäischen Kultur liegen in der griechischen und römischen.

Was sind denn die am meisten verbreiteten Vorurteile gegenüber Latein als Fremdsprache?

Wir haben immer noch mit der Geschichte des Fachs zu kämpfen. Zum einen wird nach wie vor ein negativer Elite-Begriff mit Latein verbunden, was aber schon deshalb nicht stimmt, weil Latein mit einem Schüler-Anteil von neun Prozent bundesweit die drittstärkste Fremdsprache ist. Außerdem heißt es, Latein sei wenig kinderfreundlich. Doch das kann nicht stimmen, wenn man sieht, mit wie viel Freude gerade die Kinder ab Klasse 5 Latein lernen.

Gibt es denn überhaupt genügend Lateinlehrer?

Nein, der Lehrermangel ist in allen Bundesländern gigantisch. Wer sich heute als Lateiner auf eine Lehrerstelle bewirbt, dem wird – egal mit welchem Zweitfach – der rote Teppich ausgerollt. Mancherorts kann Latein-Unterricht wegen fehlender Lehrer schon nicht mehr angeboten werden.

(Stefan Kipf ist Vorsitzender des Deutschen Altphilologen-Verbandes und lehrt Didaktik der Alten Sprachen an der Humboldt-Uni.)

(Latein erfreut sich nach jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamtes wachsender Beliebtheit: Fast jeder dritte Gymnasiast beschäftigt sich wieder mit der Alten Sprache.)

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Latein kommt bei jungen Leuten wieder an

Immer mehr Schüler entscheiden sich für Latein als erste, zweite oder dritte Fremdsprache – Lehrerknappheit beschert Universitäten in Mainz und Heidelberg steigende Anfängerzahlen – Neue Unterrichtsformen

DIE RHEINPFALZ, 19.04.2007

Von unserer Mitarbeiterin Susanne Liebold

Im Lateinunterricht gibt es mehr zu entdecken als die Kriegsschilde­rungen Caesars in „De bello gallico". Moderne Altphilologen wollen Schü­lern die ganze Vielfalt antiken Lebens aufzeigen, Kultur- und Alltagsge­schichte vermitteln und über das La­tein des Früh- und Hochmittelalters neue Blickwinkel eröffnen. Parallel entwickeln sich didaktische Alternati­ven zum althergebrachten Frontalun­terricht. Das kommt an: Seit Jahren steigen die Zahlen der Lateinschüler an den weiterbildenden Schulen so stark, dass Lateinlehrer knapp wer­den. Die zuständigen Ministerien ha­ben Latein als Bedarfsfach ausgewie­sen. Den altphilologischen Fakultäten an den Hochschulen beschert das regen Zulauf.

Latein ist eines der wenigen Fächer ohne Zulassungsbeschränkung. Stu­dierende haben die Wahl zwischen dem klassischen Magister und dem Lehramtsstudium, das angesichts des gewachsenen Bedarfs an Lateinleh­rern besonders zulegt. Beispiel Johan­nes Gutenberg-Universität in Mainz: Dort haben sich im vergangenen Jahr 355 Studienanfänger im Lehramtsfach Latein eingeschrieben. Im Jahr 2002 waren es 197. Das entspricht einer Stei­gerung um 82 Prozent. Am Seminar für Klassische Philologie der Ru­precht-Karls-Universität Heidelberg se­hen die Zahlen ähnlich aus: 291 Ein­schreibungen für Latein und Grie­chisch im Jahr 2000 stehen 440 im vergangenen Jahr gegenüber.

Auslöser ist die Wiederentdeckung der klassischen Ausbildung durch El­tern und Schüler. Manche Autoren sprechen von einem wahren Boom. Hartmut Loos, Vorsitzender des Alt­philologenverbands Rheinland-Pfalz, hält sich etwas zurückhaltender an die Zahlen: „Das Statistische Landesamt in Bad Ems bestätigt seit zehn Jahren wachsende Schülerzahlen an den Gym­nasien im Land, die mit Latein begin­nen." In Rheinland-Pfalz sind das rund 20 der insgesamt 150 Gymna­sien. Sieben davon, unter ihnen das Kurfürst-Ruprecht-Gymnasium in Neustadt und das Gymnasium am Kai­serdom in Speyer, haben ausschließ­lich Lateinklassen, teilweise kann Eng­lisch bereits in Klasse 5 dazu gewählt werden. Die restlichen 13 Gymnasien bieten Lateinzweige an.

„Schulen, die mit Latein beginnen, genießen den Ruf, gut zu arbeiten. Das zieht Schüler an", weiß Loos. Auch an nicht-humanistischen Gym­nasien entscheiden sich immer mehr Schüler in Klasse 7 oder 9 für Latein als zweite oder dritte Fremdsprache. „Eltern und Schüler werden sich be­wusst, dass Bildung breit angelegt sein sollte", erläutert der Vorsitzende des rheinland-pfälzischen Altphilologen­verbands.

Latein soll den Horizont erweitern, bietet aber auch konkrete Lernanreize. Nachdem das Fach Ende der 1970er Jahre nahezu totgesagt war, wird es heute wieder als wichtige Grundlage für das Erlernen anderer Fremdspra­chen geschätzt. Wer lateinische Konju­gationen und Deklinationen intus hat, steht vermutlich auch nicht mit dem deutschen Dativ auf Kriegsfuß. „Außerdem braucht man Latein für viele Studiengänge, greift Loos ein weiteres Argument für die Lateinwahl auf. Das große Latinum ist für angehende Theologen, Philosophen und Histori­ker Pflicht, auch in vielen Natur- und anderen Geisteswissenschaften wird Latein vorausgesetzt. Die Sprache in zwei- bis dreisemestrigen Propädeuti­ka nachzulernen, ist zeitraubend.

Vom Aufwind des Lateins profitie­ren manche Universitäten auch bei Stellenbesetzungen, auf die sie lange warten mussten. Professor Jürgen Paul Schwindt, Leiter des Seminars für Klassische Philologie in Heidel­berg, hat vor kurzem eine junge Pro­fessorin neu in sein Team geholt. Personell jetzt besser aufgestellt, will er den Studiengang weiter modernisie­ren und „intellektuell prickelnd" ge­stalten. „Wir rücken ab vom Frontalun­terricht, nutzen neue Medien und su­chen den Kontakt zu den modernen Kultur- und Sozialwissenschaften", be­tont er. Dies ist ganz im Sinne des Alt­philologenverbands. „Wir propagie­ren, moderne Didaktik und Methodik stärker in die Unis zu tragen", unter­streicht Verbandsvorsitzender Loos. Zugute kommt das am Ende den La­teinschülern: Nach Einschätzung Loos' gehen nach dem Abschluss über 90 Prozent aller Lateinstudenten als Lehrer an weiterführende Schulen. Dort können sie an der Uni vermittel­te moderne Unterrichtsinhalte und -formen einsetzen. „Bislang war das Studium nicht sehr praxisbezogen. Wie man unterrichtet, hat man vor al­lem im Referendariat gelernt", urteilt Loos.

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Europas Muttersprachen

Latein und Altgriechisch sind in Deutschland wieder im Kommen. Mancherorts gibt es schon zu wenig Lehrer.

DIE WELT, 07. 04. 2006

von Konrad Adam

"Deutsche Sprache, schwere Sprache" war eine gängige Klage schon zu einer Zeit, als die Linguisten Begriffe wie Soziolekt als Codewort für schlechtes, ungepflegtes, regelloses Sprechen noch nicht durchgesetzt hatten. Da ist Hilfe willkommen, auch wenn sie von einer Sprache kommt, die fälschlicherweise als tot bezeichnet wird. Kinder wissen das längst: "Warte, bis das in Latein drankommt, dann verstehst du es von selbst!" tröstete ein älterer Schüler einen jüngeren, der sich vergeblich darum bemüht hatte, ein grammatisches Phänomen im Deutschen zu begreifen.

Schüler sind manchmal klüger als ihre Lehrer und ihre Eltern. Und alle drei zusammen sind sie klüger als die Bildungsforscher, die schon vor langer Zeit den Tod der alten Sprachen verkündet hatten, vorschnell wie immer. Sie haben damit mehr Erfolg gehabt als verdient, glücklicherweise aber nicht so viel wie befürchtet; sonst sähe es in Pisa-Deutschland traurig aus. Denn ausgestorben sind die alten Sprachen nie, neuerdings sind sie sogar im Kommen, und das bei insgesamt rückläufigen Schülerzahlen. Der Zulauf ist so stark, daß mittlerweile Lehrer fehlen und Länder wie Baden-Württemberg fachfremde Referendare im Schnellverfahren nachrüsten.

Die Nachfrage hat viele, regional unterschiedliche, doch durchweg gute Gründe. Latein ist ja nicht irgendeine Sprache, sondern so etwas wie Sprache an und für sich, die Stammzelle aller Varianten und die Mustersammlung aller Regeln, die konstitutiv geworden sind für die Sprachen Europas – die romanischen sowieso, aber auch fürs Deutsche und noch viel mehr fürs Englische, in dem weit über die Hälfte aller Wörter lateinischen Ursprungs sind. Völlig zu Recht hat Manfred Fuhrmann, der kürzlich verstorbene Konstanzer Philologe, Latein als die Muttersprache Europas bezeichnet; eine Feststellung, von der auch die Anwälte der modernen Fremdsprachen profitieren könnten, wenn sie denn klug genug wären, die alten Sprachen als ihre Verbündeten zu betrachten und nicht als ihre Gegner.

Das Griechische steht im Schatten des Lateinischen, zu Unrecht allerdings. Auch wenn man Wilhelm von Humboldts Begeisterung fürs Griechische nicht teilen mag, wird man doch einräumen müssen, daß diese Sprache zur Ausbildung des ästhetischen Urteils etwa dasselbe beiträgt wie Mathematik zum Abstraktionsvermögen. Allein durch seinen Partikelreichtum ist das Griechische wie geschaffen dazu, auch schwierige Gedankengänge präzise wiederzugeben. Er wolle nicht behaupten, hat Bruno Snell einmal gesagt, daß es unmöglich wäre, auf Griechisch Unsinn zu reden; sehr schwierig sei es aber eben doch.

Aber wer spricht und schreibt die alten Sprachen heute noch? Mehr Leute, als man denkt. Die Zeit des Latine loqui et scribere, das jahrhundertelang von den Humanistischen Gymnasium nicht nur gepredigt, sondern auch praktiziert worden ist, scheint zwar vorbei zu sein, und wenig spricht dafür, daß sie noch einmal aufleben könnte. Die Antike ist uns fern, aber doch nicht allzu fern gerückt; und eben dies, der relative, aber nicht zu weite Abstand reizt intelligente Schüler, eine Kultur kennenzulernen, die zeigt, daß man ganz anders denken und empfinden kann als es die Lobsänger der ersten, zweiten oder dritten Moderne uns einreden wollen. Die Beschäftigung mit den alten Sprachen und dem, was sie an Inhalten transportieren, lohnt offenbar auch dann, wenn man zum Sprechen und zum Schreiben nicht mehr kommt.

Schließlich dürfte in keiner neueren Sprache mehr gute Literatur erschienen sein als in den beiden alten. Die Römer haben das gewußt. Sie haben die (militärisch besiegten) Griechen als kulturelle Sieger anerkannt, sich ihrem Vorbild unterworfen und damit ein Beispiel gegeben für recht verstandenen Multikulturalismus. Tragödie und Komödie, Lyrik und Roman, Historiographie und Biographie sind von den Griechen nicht nur entdeckt, sondern in kürzester Zeit auch zur Reife gebracht worden. Sie haben die Fragen gestellt, die man ewig nennt, weil sie jeder für sich selbst beantworten muß, die Fragen nach Schuld und Sühne, Verstand und Leidenschaft, Freiheit und Sklaverei – allerdings nicht in abstrakter Form, sondern anschaulich gemacht durch Ereignisse und Gestalten, die allesamt über den Einzelfall hinausweisen und deshalb nie veralten. Antigone altert nicht; in ihrem Kampf für die Moral des Einzelnen und gegen die Moral der Gruppe steht sie uns näher als Tusnelda oder die Jungfrau von Orleans.

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Immer mehr Latein

Nur Spanisch hat höhere Zuwachsraten/ Auch Griechisch beliebter/ Neue Statistik

FAZ, 14. 12. 2005

oll. FRANKFURT. Trotz insgesamt zurückgehender Schülerzahlen ist die Anzahl der Schüler, die Latein und Griechisch lernen, im Schuljahr 2004/2005 gestiegen. Dies geht aus einer neuen Statistik des Statistischen Bundesamtes hervor. Die Anzahl der Lateinschüler hat um 8,9 Prozent  zugenommen, die der Griechischschüler um 7,2 Prozent. Insgesamt lernen 739 000 Schüler Latein und 14 650 Schüler Griechisch. Latein ist die drittstärkste Fremdsprache im deutschen Schulsystem. Dies liegt deutlich über der Entwicklung anderer Fremdsprachen mit Ausnahme des Spanischen, das mit Abstand die höchsten Zuwächse aufweist (20,4 Prozent). Die Anzahl der Schüler, die Russisch lernen, hat deutlich abgenommen. Unter den modernen Fremdsprachen verzeichnet Französisch den geringsten Zuwachs.

Der deutsche Altphilologenverband verweist darauf, daß Latein und Griechisch in Zeiten von Pisa besonders wichtig seien. Beide entwickelten systematisch das Sprachbewusstsein. Insbesondere Schulen humanistischer Prägung hätten Modelle entwickelt, die eine sinnvolle Kombination alter und moderner Sprachen ermöglichten, etwa Latein und Englisch, in der fünften Klasse beginnend, zu lernen. Außerdem leisteten die alten Sprachen einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der deutschen Sprachfähigkeit und machten Schüler mit den Grundlagen Europas, mit den zentralen Texten der Weltliteratur im Original vertraut.

Der Gesamtverband moderner Fremdsprachen bezeichnet derweil die Lateinanforderung an Universitäten als „Luxus sprachlicher und kultureller Allgemeinbildung“. Die Studie des Kölner Hochschullehrers Lebek hat hingegen gezeigt, daß Latein- und Griechischunterricht das mikroskopische Lesen fördern, also den Umgang mit schwierigen und anspruchsvollen Texten einüben. Wegen der häufig nicht mehr gebräuchlichen Wörter im Deutschen erweitert sich der aktive Wortschatz in der Muttersprache ganz nebenbei beim Übersetzen. Im Hochschulstudium gehören Schüler, die gut in Latein und Griechisch abgeschnitten haben, deshalb selten zu den Studienabbrechern – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Vor allem Hochschullehrer in der Germanistik berichten von der philologischen Unbedarftheit vieler Studenten und fordern auch nach dem offiziellen Verzicht auf das Latinum als Studienvoraussetzung mindestens Lateinkenntnisse. Klassische Philologen klagen, daß Latein und Griechisch nur noch als Hilfsdisziplinen gesehen werden. Wegen der zahlreichen vakanten Lehrstühle in den klassischen Sprachen fürchten einige Bundesländer einen erheblichen Latein- und Griechischlehrermangel in den nächsten Jahren.